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Wenn innere Anteile übernehmen – und wie wir zu uns selbst zurückfinden

Kennst du das, dass manchmal eine Stimme in dir sehr groß wird – eine, die dich klein macht und dir zuflüstert: „Das schaffst du nie.“ 

Oder eine, die dich hart kritisiert oder dich in Scham und Resignation zieht?


Mit diesen inneren Anteile, auch Ego-States genannt wird in der Ego-State-Therapie gearbeitet.

Jeder Mensch trägt verschiedene innere Stimmen in sich, die sich vor allem in der Kindheit entwickeln.

Unter unterschiedlichen Umständen entstehen unterschiedliche Anteile.

Unter guten Bedingungen entwickeln sich gesunde, ressourcenreiche Anteile: Sie sind integriert, fühlen sich stimmig an und schenken uns Kraft, Orientierung und Stabilität. Sie tragen zu einem kohärenten Ich-Erleben bei, fühlen sich stimmig an und entwickeln sich mit uns weiter.

Unter toxischem Stress oder belastenden Umständen entstehen dagegen oft verletzte Anteile oder verletzende Anteile.


Verletzte Anteile bilden sich, wenn wir als Kinder in Situationen geraten, die wir nicht bewältigen konnten. Sie tragen Gefühle von Ohnmacht, Scham, Hoffnungslosigkeit oder Wertlosigkeit in sich und wirken oft klein, hilflos und verzweifelt.

Verletzende Anteile spiegeln häufig die Stimmen aus dem damaligen Umfeld wider: harte, abwertende oder manipulative Botschaften von Eltern, Lehrer:innen oder anderen Bezugspersonen. Sie kritisieren, machen klein und halten uns zurück – auch wenn sie ursprünglich als Schutzprogramme gedacht waren.



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Wenn man mit einem verletzten Anteil identifiziert ist, fühlt man sich oft klein, hoffnungslos oder wertlos. Selbst wenn Tränen fließen und der Schmerz einen Ausdruck findet, führt dieses Weinen oft nicht zu einer Erlösung.


Zwar entlädt sich die Emotion für einen Moment, doch es nimmt kein gutes Ende – gefühlt geht es nicht weiter. Stattdessen schwankt der innere Zustand zwischen einem Fließen der Emotionen und einem erneuten Erstarren. Der verletzte Anteil hat keine Hoffnung, und gleichzeitig stehen im System oft zu wenige Ressourcen zur Verfügung. Genau das macht ihn so groß und überwältigend.


Das Gleiche geschieht mit verletzenden Anteilen, nur in einer anderen Energie. Während verletzte Anteile stark mit Opfergefühlen verbunden sind, tragen verletzende Anteile eher eine niederschmetternde, kämpferisch-trotzige Energie in sich. Sie sind stärker mit der Täter-Rolle verknüpft.

Oft spiegeln sie die Sätze und Überzeugungen wider, die als Kind von Bezugspersonen aufgenommen haben – vor allem, wenn diese sehr dominant, manipulativ oder gar narzisstisch geprägt waren. In Wahrheit sind es die Stimmen und die Haltung des Umfelds, die nachhallen und im Inneren in Form des verletzenden Anteils fortleben.


 „Du schaffst das sowieso nie.“ 
„Es ist noch nie gut ausgegangen.“ 


sind typische Aussagen aus diesen Anteilen. Sie suchen regelrecht nach Bestätigung im Außen, dass ohnehin alles zum Scheitern verurteilt ist – und halten dadurch klein.

Besonders spannend ist, dass Menschen in solchen Momenten vollständig mit diesen Anteilen identifiziert sein können. Erst im Nachhinein – wenn Regulation oder Coregulation gelungen ist , sich als das Nervensystem wieder sicherer fühlt – merkt man, dass man „nicht ganz selbst“ war. Zurück bleibt oft die Angst: „Wann kommt das wieder?“

Wie damit umgehen?


Tatsächlich handelt es sich bei solchen Zuständen um eine sehr ausgeprägte innere Dynamik – im Kern ist es ein Reaktionsmuster. Ein erster Schritt besteht darin, sich dieses Musters bewusst zu werden und sich immer wieder daran zu erinnern:


„Ich bin nicht nur dieser Anteil.“

6 Wege, wie du zurück zu dir findest


1. Innere Sicherheit schaffen


Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist die Wiederherstellung von Sicherheit – durch einen inneren sicheren Ort oder durch eine äußere sichere Person, die Coregulation ermöglicht. So kann das Nervensystem Schritt für Schritt wieder in einen regulierten Zustand zurückfinden. Besonders hilfreich ist ein geschütztes Setting, in dem die Auseinandersetzung mit Anteilen möglich ist, ohne dass das System überfordert wird.


Eine erste kleine Übung dafür ist die Orientierung im Raum: langsam umherschauen, Dinge wahrnehmen, den Kontakt mit Füßen, Boden oder Lehne spüren. Das Nervensystem registriert:

„Ich bin hier. Ich bin sicher.“

Die Orientierung im Raum ist eine Übung, die sehr einfach ist und genau dadurch und durch eine regelmäßige Wiederholung ein Anker werden kann, da sie uns immer wieder in die Präsenz und den Moment führt.


2. Ressourcen stärken


Es ist entscheidend, die Aufmerksamkeit auf die bereits vorhandenen, gesunden Anteile zu lenken – jene, die Bodenhaftung und Kraft geben. Ressourcen sind die Grundlage, um verletzten und verletzenden Anteilen überhaupt begegnen zu können. Ohne Ressourcen fehlt die Kapazität, innere Dynamiken zu halten. Richte deine Aufmerksamkeit bewusst auf die Anteile, die dir Halt geben – zum Beispiel deine erwachsene Seite, die schon vieles geschafft hat, oder eine liebevolle Erinnerung. Auch Kleinigkeiten, Orte oder Gewohnheiten können Ressourcen sein!


3. Der unversehrte Kern


Das Wichtigste: Du bist nicht deine Anteile.


In jedem Menschen gibt es einen unversehrten Kern – heil, ganz und verbunden mit etwas Größerem. Aus dieser Verbindung heraus können wir verletzten und verletzenden Anteilen begegnen, ohne uns in ihnen zu verlieren. Mini-Übung: Den unversehrten Kern spüren

Lege beide Hände sanft auf dein Herz oder in deinen Schoß. Schließe die Augen und stell dir vor, dass in dir ein Ort existiert, der nie verletzt werden konnte – heil, klar, verbunden. Atme dorthin und spüre, wie deine Hände diesen Raum halten.

Je öfter du dich mit diesem inneren Ort verbindest, desto leichter fällt es dir, in schwierigen Momenten wieder zurückzukehren: zu dir selbst, zu deiner inneren Stärke, zu deinem Kern.

4. Das beobachtende Ich


Zur Lösung gehört auch das Stärken des beobachtenden Ichs. Dieses wohlwollende, erwachsene Selbst kann eine Situation einordnen: „Hier meldet sich gerade ein Anteil“ – anstatt sich sofort damit zu identifizieren.

Je öfter wir diesen Beobachterraum kultivieren, desto mehr wächst die Fähigkeit, Fürsorge, Nähe und Liebe zu den Anteilen fließen zu lassen – genau das, was wir uns als Kinder so sehr gewünscht hätten.


5. Bedürfnisse erkennen


Hinter jedem Anteil steckt ein Bedürfnis. Jeder Anteil versucht, etwas zu bewahren oder zu schützen. Deshalb lohnt es sich, innezuhalten und zu fragen:


Was hätte dieser Anteil damals gebraucht?
Was braucht er heute?
Welches Bedürfnis steckt wirklich dahinter?

Wenn wir das erkennen, öffnen wir einen Raum, in dem Heilung möglich wird. Jeder Anteil trägt eine Botschaft, die gehört werden möchte. Manchmal geht es um Sicherheit, manchmal um Anerkennung, manchmal schlicht um Ruhe.


6. Den Körper mitnehmen


Diese Anteile sind meist im impliziten Gedächtnis verankert – also in einem Gedächtnis, das stärker über den Körper als über den Verstand funktioniert. Deshalb ist es so wichtig, mit Bottom-up-Ansätzen zu arbeiten: Atem, Bewegung, Ausdruck.


Bei überwältigenden Erfahrungen hat sich unser System oft „aufgespalten“ – bestimmte Reaktionen wurden eingefroren. Dadurch geht Lebendigkeit verloren, und man fühlt sich träge oder schwer. Kommt Aktivität, kippt sie leicht in Überreaktion.


Um diesen natürlichen Rhythmus wiederzufinden, arbeite ich mit einer Mischung aus Meridianarbeit und Bewegung – von sanft und leise bis hin zu Schütteln und Zittern.

Genau diese Reaktionen waren damals unterdrückt worden. Heute können sie nachgeholt werden.

Wenn wir dem Körper Raum für Ausdruck geben und beginnen ihn neu zu erkunden – wie ein Wesen, das alles miterlebt hat - werden Körper und Selbst wieder zu Verbündeten.



Integration: Der Schlüssel zur Heilung


Heilung bedeutet nicht, Anteile loszuwerden. Heilung bedeutet, dass wir lernen, sie liebevoll wahrzunehmen und ihnen heute eine neue Erfahrung zu schenken.

Was als Kind nicht gelingen konnte, darf im Erwachsenenalter einen guten Ausgang finden. Genau darin liegt die Kraft der Integration: Wir erinnern uns daran, dass wir mehr sind als unsere Stimmen – und dass in uns ein heiler, unversehrter Kern lebt, der uns den Weg weist.



Fazit:

Innere Anteile sind keine Feinde, sondern Überlebensstrategien von damals. Heute dürfen wir ihnen mit Neugier, Mitgefühl und Klarheit begegnen – und dabei lernen:



"Ein Anteil ist nur ein Teil – wir sind das Ganze, das ihn liebevoll umfassen darf."

Wenn du deine Anteile besser verstehen und in einem geschützten Rahmen begleiten möchtest, lade ich dich herzlich ein, mit mir zu arbeiten.

Gemeinsam schaffen wir einen Raum, in dem du innere Sicherheit findest und Schritt für Schritt zurück zu dir selbst kommst.






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